„... die Welt mit dem Ohr erfahren“


Zur Bandbreite des Repertoires:

Alte und Neue Musik bedingen einander, jeder Stil und jede Form der Musik werden alt – nur in der Darstellung bleiben sie lebendig und neu. Mich interessiert an der Arbeit am Dirigentenpult weniger ein wie immer geartetes Spezialistentum, sondern vielmehr die Sinn-und Einheitsstiftenden Elemente in der Vielfalt: wieviel Bach etwa steckt in Schönberg, oder wo finden sich Gemeinsamkeiten bei Edgar Varèse und Frank Zappa. Zeitgemässes Dirigieren bedeutet, technisches Können und stilistische Kompetenz zu vereinen.

Zum Verhältnis DirigentInnen – Orchester:

Das Dirigentenbild des XXI.Jahrhunderts bedarf einer grundsätzlichen Rückbesinnung auf die Funktion einer Ensembleleitung. Die Aufgabe besteht meines Erachtens nicht darin, den OrchestermusikerInnen Vorträge darüber zu halten, was ohnehin als Spielanweisung in den Noten steht, sondern als „pars pro toto“ die Architektur der Werke, sowie deren klangliche und strukturelle Zusammenhänge für die Mitwirkenden und für das Publikum emotional erlebbar werden zu lassen.
Durch die technisch immer höher werdenden Standards der Klangkörper ist kaum mehr zu unterscheiden, ob eine interpretatorische Leistung auf die Qualität des Orchesters zurückzuführen ist, oder auf jene der DirigentInnen. Eines der vorrangigen Ziele ist, das Potenzial eines Orchesters auszuschöpfen und die MusikerInnen zur Hingabe am Werk zu inspirieren.

Über das Opern-Dirigieren:

Wie ein Verkehrspolizist irgendeine Repertoirevorstellung möglichst unfallfrei über die Runden zu bringen ist für mich nicht interessant. Der kreative Prozess in der Zusammenarbeit mit der Regie ist für das Gelingen einer Opernproduktion ebenso unerlässlich wie die Arbeit mit dem Sängerensemble und die Einbindung des Orchesterapparates in den Entstehungsprozess. Die stilistische Frage, ob „historisierend“ bzw. „Originalklang“ ist zwar zu entscheiden, aber nicht immer vorrangig, denn Musizieren ohne historisches Bewusstsein ist ohnehin sinnlos. Technische und stilistische Kompetenz gehören ebenso zum Handwerk des Dirigenten wie das Wissen um die Zusammenhänge der historischen Aufführungspraxis.

Zum Musik-Theater:

Auch wenn es dem Genre Oper nicht immer zugebilligt wird: das Musik-Theater ist nach wie vor ein ideales Medium, ein aufgeklärtes Publikum mit den Phänomenen seiner Zeit zu konfrontieren. Die Partnerschaft mit Regisseuren, die um die Rezeption eines Werkes wissen und in ihrer Arbeit mit berücksichtigen, aber dennoch neue, aufregende Sichtweisen vermitteln können, ist für mich persönlich von großer Bedeutung.
Namen wie George Tabori, Christof Nel, Christof Loy, Peter Konwitschny, Robert Lehmeier und Rudolf Frey und ihre Teams, deren Produktionen ich musikalisch geleitet habe, sind in ihrem künstlerischen Ethos vorbildhaft und eine Bereicherung für mich als Dirigent.  

Projektarbeit:

Eigene Projekte, wie die konzertanten Aufführungen von Schubert’s letzter Oper “Der Graf von Gleichen”, Gluck’s “Ezio”, oder die Wiederentdeckung von Meyerbeer’s “Emma di Resburgo” haben sich als Glücksfälle erwiesen: als Opern des “Übergangs” haben sie mich gelehrt, auch vor dem Können jener Komponisten den Hut zu ziehen, die sich stilistisch in Zonen des Übergangs bewegen – und von Veranstaltern gern ins Abseits gedrängt werden.
Dazu gehört auch die Arbeit an CD Projekten mit Werken der Komponistinnen Amanda Meier-Röntgen und Andrea Tarrodi.
Eine Aufführung, an die ich mich gern und dankbar erinnere: “Herz und Mund, und Tat und Leben”, ein Musik-Theaterprojekt mit dem Schauspielhaus Düsseldorf, das Bachs Kantaten mit Texten des französischen Soziologen Pierre Bourdieu verband.

Zum Thema Gesang:

Es gibt ein Phänomen unserer Zeit, dem ich mich nicht gerne beuge: das ist die Tendenz, in den Opernhäusern, die durchschnittlich 1100 bis 1500 Sitzplätze (oder mehr) aufweisen, Stimmen zu vernehmen, die bereits in der 10 Reihe Parkett nicht mehr wahrgenommen werden. Trotz der Erkenntnisse der historischen Aufführungspraxis wehre ich mich gegen die Behauptung, dass sich die menschliche Stimme einem “antiseptischem”, in Permanenz senza vibrato gespieltem Orchesterklang anzupassen habe, oder kein „Volumen“ besitzen darf.
Das Penetrante an manchen historischen Aufnahmen Alter Musik aus den 50-er oder 60-er Jahren waren seltener die Stimmen, sondern die mit unnatürlichem Dauervibrato musizierenden Orchester. Nicht zu reden von deren unartikulierten Spiel, Phrasierung und der Wahl der Tempi.
Der Vorteil eines auf alten Instrumenten musizierenden Orchesters besteht zunächst darin, dass die Stimmen nicht gezwungen sind zu forcieren, und alle Möglichkeiten einer dynamischen und farblichen Schattierung ausschöpfen kann. Stimmen wie Joan Sutherlands oder Marylin Hornes wären mir auch heute, trotz „altem“ Instrumentarium, höchst willkommen. Das Timbre, die Technik und die musikalische Intelligenz eines Sängers sind für den Stil entscheidend.

 

À propos:

 

Claudio Monteverdi

Der erste „große“ Opernkomponist; seine Figuren durchtrennen die Nabelschnur zur Götterwelt – der „Mensch“ betritt die Opernbühne – extreme Expressivität auch bei größtmöglicher Reduktion der musikalischen und orchestralen Mittel. Das für mich schönste Liebesduett in der Musikliteratur: die Schlussszene aus „Ulisse“ – erst Verdi schafft im „Otello“ wieder eine solche Tiefe. Das bunte Nebeneinander von Göttern, Helden und Menschen nimmt im Prinzip die Theaterwelt Richard Wagner’s vorweg.

Georg Friedrich Händel

Die Fantasie des Komponisten trifft auf die Fantasie des Interpreten: Virtuosität nicht als inhaltsleere Zurschaustellung technischen Könnens, sondern mit dem Ziel einer „poetica meraviglia“ (Poetik des Wunderbaren).

Wolfgang Amadeus Mozart

Der „Meister aller Meister“ (Friedrich Gulda)...
Mit ihm beginnt eine neue Form des Musiktheaters und die erste wirkliche Zusammenarbeit zwischen Komponist und Librettist. Mich fasziniert der Widerstand gegen das Bestehende und die Provokation; die Einsicht, dass das Leben zwar anders ist, als es sein könnte (oder sollte), dass aber durch die Kunst die Möglichkeit geschaffen wird, an einem noch ausstehenden Glück festzuhalten.
„La Clemenza di Tito“ ist Sturm und Drang!

Ludwig van Beethoven

Seine einzige Oper ist eine Symphonie der Utopie. Eine Utopie, die man hören kann, aber die wahrscheinlich heute unmöglicher zu inszenieren ist, denn je.

Franz Schubert

Der große Unbekannte unter den Opernkomponisten. Grillparzers Wort, wonach “die Tonkunst hier einen reichen Besitz begrub, aber noch schönere Hoffnungen” erweist sich noch heute für die Rezeption des Grossteils seiner Werke als immer noch fatal.

Giuseppe Verdi

Der Komponist, der neben Monteverdi und Mozart für mich am überzeugendsten Theaterinstinkt und Klugheit vereint. Er spürt den seelischen Regungen komplexer Familienkonstellationen am feinsten nach (und ist damit Strindberg gar nicht unähnlich).

Richard Wagner

Wagners neue Mythologie ist eine “Hermeneutik des Schicksals. Schicksalhaftes kann man nur zeigen, nicht erklären. Schicksal heisst, was geschieht, ohne dass Warum-Fragen zulässig wären.” (Peter Sloterdijk)
Er benötigte dazu ein eigenes Opernhaus, das größte Orchester seiner Zeit, die lautesten Stimmen und – Zuhörer mit VIEL Zeit. Als Gesamtkunstwerker umwerfend. Musik als Droge und Religionsersatz?

Claude Debussy

"Pelléas et Mélisande" ist die "Anti-Oper" schlechthin, aber als Musik-Drama eines der packendsten Stücke der Operngeschichte. Ich kenne kein anderes Werk, das die Isolation von Menschen derart kunstvoll und verführerisch in Klänge kleidet.

Richard Strauss

Ihm haftet das Etikett des “letzten romantischen Komponisten” an; in jedem Fall ist er dank Hugo von Hofmannsthal derjenige, der seit Mozart die interessantesten Frauenfiguren auf die Bühne gebracht hat. Und der sich wohl als letzter Musiker klar zu einer apollinischen Kunstauffassung bekannt hat. Strauss’ Kunstauffassung hat nicht erst seit seiner kulturpolitischen Rolle im NS Regime zahlreiche Gegenstimmen provoziert. Man muss dennoch zubilligen, dass er gerade in seinem Alterswerk auf eine persönliche Weise sehr radikal geblieben ist.

Arnold Schönberg

Ohne sein Werk hätte ich persönlich das musikalische Spannungsfeld im Übergang von der Romantik zur Moderne nie verstanden. Mit ihm erlebt man die Metamorphosen der Tonalität, jene "Luft von anderen Planeten", die für eine neue Art des Denkens in Musik bestimmend sein sollte. Die musikalische Sprache des “letzten bürgerlichen Komponisten” (Hanns Eisler) wird solange irritieren, als sich die Hörgewohnheiten breiter Publikumsschichten an den Klängen der Musikfabrik Hollywoods orientieren.

Alban Berg

"Wozzeck" und "Lulu" sind die letzten Musikdramen des 20. Jahrhunderts, die noch traditionellen Formen verpflichtet sind. Gleichzeitig verweisen sie in ihrer literarischen Qualität auf neue Aspekte des Musiktheaters, deren Fortsetzung trotz Benjamin Brittens Opern, B.A. Zimmermann's umwerfendem Opus "Die Soldaten” und mancher Bühnenwerke Henzes und Aribert Reimanns häufig nur Fussnote geblieben ist. Ich zolle Komponisten wie Pierre Boulez höchsten Respekt, dass sie diesen Schritt nicht getan haben.

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